18.02.2025
EMAF 38 - Artists in Focus

Mit der Sektion Artists in Focus würdigt das EMAF Künstler*innen, deren Praxis sich zwischen Kunst und Kino verortet und gängige Vorstellungen von filmischen Erzähl- und Arbeitsformen erweitert. Wir freuen uns sehr, in diesem Jahr New Red Order (NRO) als Artists in Focus begrüßen zu können – genauer: NRO and Company, denn neben Filmen der Hauptmitwirkenden Adam Khalil (Ojibway), Zack Khalil (Ojibway) und Jackson Polys (Tlingit) werden auch Arbeiten zu sehen sein, die in Zusammenarbeit mit Bayley Sweitzer, Maria Meinild, Anton Vidokle und anderen Konstellationen entstanden sind.
NRO ist eine öffentliche Geheimgesellschaft, die in Netzwerken von Mitwirkenden, Kompliz*innen und Informant*innen arbeitet. In Filmen, Installationen und Performances, in kollektiven Projekten (Give It Back) und mit Partnerorganisationen (Creative Time) setzt sich NRO mit einer kolonialen Siedlergesellschaft auseinander, die gleichermaßen von der Sehnsucht nach dem Indigenen wie der gewaltsamen Vernichtung und Vertreibung von indigenem Land und Leben geprägt ist. NRO stellt die Frage, wie diese Sehnsucht auf produktive und nachhaltige Weise kanalisiert werden kann: „Unser Ziel ist es, Schuld und Scham zu überwinden, nicht um sie zu beseitigen und hinter uns zu lassen, sondern um durch sie und jenseits von ihr etwas zu imaginieren, das Indigene Zukünfte im Blick hat und befördert.“ (NRO)
NRO verwenden in ihren Arbeiten eine Vielzahl von Formen und Strategien, die vom Genrekino und Experimentalfilm bis hin zu Werbefilm und Manifest reichen, immer verbunden mit Humor, Aufrichtigkeit und gewissenhafter Recherche. Ihr Ziel ist es, unsere politische Vorstellungskraft zu erweitern und Wege hin zu einer für alle lebenswerten Zukunft zu weisen.
„In unserer gemeinsamen Arbeit versuchen wir, geschickte und ungewöhnliche konzeptuelle Rahmungen zu entwickeln, die uns erlauben, die Widersprüche, Fehler und Traumata, die die Geschichte des kolonialen Projekts seit 1492 auszeichnen, zu untersuchen, neu zu arrangieren und sogar zu parodieren. Wir stellen die Sicherheit und Stagnation normativer Einstellungen im Hinblick auf diese schwierigen Themen in Frage und versuchen stattdessen, die Strukturen für konzeptuell fruchtbarere Vorstellungen davon zu schaffen, wie ‚Identität‘ und ‚Geschichte‘ in unserem gegenwärtigen Verständnis von Dekolonisierung, Versöhnung und Siedlerkolonialismus vermittelt und konfiguriert werden.“ (Adam Khalil)
Eine zentrale Arbeit im Programmist der erste gemeinsam von Adam Khalil und Zack Khalil realisierte Langfilm INAATE/SE/ [it shines a certain way. to acertain place/it flies. falls./] (2016), der die Prophezeiung der Sieben Feuer, eine Erzählung der Anishinaabe, aufgreift. Sie sagt den Erstkontakt mit den Europäern vorher, lange bevor dieser sich ereignete. In INAATE/SE/ gehen Adam und Zack den transgenerationalen Spuren dieser Erzählung in ihrer eigenen indigenen Gemeinschaft nach.
In Never Settle: The Program (2018) wechseln sich Bilder eines von Siedlerhand zerstörten Planeten ab mit gruppentherapeutischen Aktionen, in denen willige Siedler*innen ihren eigenen Wunsch indigen zu werden erforschen und überwinden können. Als Video zur Anwerbung neuer Mitglieder angelegt, befragt NRO die Dynamiken von Kompliz*innenschaft, den Wunsch nach Wiedergutmachung und die Kooptierung indigener Anliegen durch Nicht-Indigene.
Nosferasta: First Bite (2021) von Adam Khalil, Bayley Sweitzer und Oba,einem in Brooklyn lebenden Künstler und Musiker aus Trinidad, übersetzt 500 Jahre kolonialer Zerstörung in die Sprache des Vampirfilms. Er folgt Oba, der als afrikanischer Sklave an einer Küste strandet, und Christoph Columbus, durch dessen Biss er zum Vampir wird, auf ihrem Weg durch die „Neue Welt“, die sie nach und nach kolonial infizieren. In einem unkonventionellen Stil- und Genremix erzählt Nosferasta von der Schwierigkeit Jahrhunderte vampirischer Konditionierung zu überwinden. Wie kann man dekolonisieren, was man selbst im Blut hat?
Die Filme von NRO und ihren oft langjährigen Mitstreiter*innen werden ergänzt durch zwei von Adam Khalil zusammengestellte Kurzfilmprogramme. In Anti Ethnography sind Filme aus mehreren Jahrzehnten zusehen, die sich aus indigener Perspektive mit dem ethnografischen Blick auseinandersetzen. Ein zweites Programm wird den europäischen Booklaunch von Temporal Territories. An Anthology of Indigenous Experimental Cinema begleiten, einer jüngst vom COUSIN Collective (Sky Hopinka, Adam Khalil, Alexandra Lazarowich und Adam Piron) herausgegebenen Publikation. In diesem Rahmen werden die Filme einiger der im Buch vorgestellten Künstler*innen zu sehen sein, unter anderen Walter Scotts neuer Kurzfilm _Organza’s Revenge_.